Ab den 1960er Jahren veränderten DemokratInnen den Staat

In den 1960er Jahren wurde in Europa der Muff unter den Talaren immer stärker kritisiert. Die Tatsache, dass ehemalige Nazis in Deutschland und Österreich nach wie vor bestens verankert waren und in honorigen Positionen saßen, brachte junge Studierende auf. In Frankreich führte Jean-Paul Sartre als intellektueller Vordenker eine echte Revolte gegen die autoritären Staatsstrukturen an, der sich viele Studierende, aber auch ArbeiterInnen und Gewerkschaften anschlossen. Die Akteure dieser Zeit setzten sich die Emanzipation gegen Autoritarismus zum Ziel. Sie wollten den Marsch durch die Institutionen antreten, wie Rudi Dutschke es formulierte. Denn es war ihnen klar: Wer den Staat verändern will, muss in den Institutionen sitzen, in die Parlamente kommen und irgendwann vielleicht in eine Regierung. Zumindest ein Teil der damals Aufmüpfigen hat dies tatsächlich geschafft: Daniel Cohn-Bendit wurde zu einem der profiliertesten EU-Parlamentarier. Joschka Fischer sogar deutscher Außenminister. Manche sind ihren Grundsätzen untreu geworden, aber die Ideen der Demokratisierung und der Befreiung aus den Krallen alter Strukturen setzten sich fest. Aus der emanzipatorischen Bewegung gingen Parteien wie die Grünen hervor. Andere ProponentInnen engagierten sich in der Frauen- oder der Friedensbewegung. Die Parteien der Mitte wurden ebenfalls „unterwandert“ oder „übernommen“ von den Angehörigen dieser emanzipatorischen Generation. Gesellschaftlich liberale, herrschaftskritische und weltoffene Konzepte fanden tatsächlich Eingang in die Institutionen und veränderten in vielen europäischen Ländern den Staat. Wie auch immer man zu den Akteuren der so genannten 68er Revolte stehen mag – man kann ihnen nicht absprechen, dass sie zu einer Verbesserung demokratischer Standards beigetragen haben.

Rückzug der DemokratInnen, Einzug der Autoritären

In den letzten Jahren jedoch ziehen sich viele der Herrschaftskritischen aus den Institutionen der repräsentativen Demokratie wieder zurück. Sie engagieren sich heute lieber in der Zivilgesellschaft und wollen an Parteien oder Einrichtungen des Staates nicht anstreifen. Das mag verständlich sein, aber es ist die falsche Strategie, denn der Rückzug aus den Institutionen erlaubt es den autoritären Kräften, diese für sich zu erobern. Und das tun sie in Windeseile, rücksichtslos und mit taktischer Brutalität. Sie geben offen zu, dass sie sich die Strategie von linken Theoretikern abgeschaut haben und wenden sie konsequent an. Heute sitzen sie bereits in vielen Staaten nicht nur in Parlamenten, sondern auch schon in Regierungen, an den Schalthebeln der Macht. Und verändern den Staat so, wie es ihnen gefällt. Sie machen aus den liberalen Demokratien wieder autoritäre Regime und zerschlagen die Europäische Union, während die demokratisch Orientierten in der Zivilgesellschaft auf den Staat schimpfen, der ihnen immer mehr aus den Händen gleitet.

Zurück in die Institutionen und Äquivalenzketten bilden

Der Kampf um die Demokratie wird aber nicht in Workshops oder Diskussionsrunden gewonnen, sondern in politischen Institutionen wie Parteien, Kammern, Gewerkschaften oder Parlamenten. So wichtig die zivilgesellschaftlichen Akteure sind, sie dürfen nicht auf den Marsch durch die Institutionen verzichten, sondern müssen verschiedene Methoden verknüpfen: zivilgesellschaftliche Diskurse und soziales Engagement, institutionelle Hartnäckigkeit und parteipolitisches Agieren. Dabei spielt es keine Rolle, woraus sich der demokratische Impetus ergibt: aus christlich-sozialen Überzeugungen, linker Weltanschauung, frauenpolitisch-emanzipatorischem Engagement oder anderweitig begründetem Humanismus. Der Kampf um die Demokratie hat längst begonnen und braucht die Zusammenarbeit all derer, die den autoritären, nationalistischen und xenophoben Tendenzen ablehnend gegenüberstehen.