Der Neoliberalismus ist eine wirtschaftspolitische Strömung oder Ideologie, die viele Facetten aufweist. Wichtige Merkmale sind die Liberalisierung des Welthandels, die Deregulierung der Märkte sowie der Rückzug des Staates aus den Wirtschaftsabläufen, um das freie Spiel der Marktkräfte nicht zu stören. Dieses volkswirtschaftliche Dogma, das in manchen Staaten mehr und in anderen weniger ausgeprägt gelebt wird geht davon aus, dass sich die Leistungsstarken immer durchsetzen. Es hat somit streng genommen eine darwinistische Basis, da es um Selektion geht. Der Markt bringt demnach Sieger und Verlierer hervor. Dem Neoliberalismus zufolge ist dies eine richtige Entwicklung, die dem naturgegebenen Evolutionsprozess entspricht und die nicht durch staatliche Interventionen verändert werden sollte. Dieser Logik können viele etwas abgewinnen, da sie die modernisierte Variante eines traditionellen und religiös geprägten Weltbilds darstellt, das von einer Hierarchie unter den Menschen ausgeht. Gleichzeitig hebt es sich von diesen früheren Vorstellungen davon ab, dass diese Hierarchie nicht bei der Geburt schon vorentschieden ist, sondern sich durch Leistung erst entwickelt und verändern lässt. Im Sinne dieses letzteren Aspekts ist der Neoliberalismus eine integrative Ideologie, da er theoretisch niemandem von vornherein abspricht, zu den Siegern gehören zu können. Ob jemand eine Frau oder ein Mann, ein Europäer, eine Afrikanerin oder ein Chinese, beeinträchtigt oder nicht, homo-, bi- oder transsexuell ist, an Gott glaubt oder nicht usw., spielt vorerst keine Rolle. Jede und jeder kann der neoliberalen Ideologie entsprechend erfolgreich sein. Niemand gehört per se zu den Verlierern. Der Kardinalfehler dieses Denkens ist jedoch, dass eine prinzipielle Chancengleichheit qua Geburt angenommen wird, so als gäbe es für alle die gleichen Startbedingungen ins Leben. Das heißt, der Neoliberalismus kümmert sich konsequenterweise nicht im Geringsten darum, die Chancen der Menschen anzugleichen, weil er ja davon ausgeht, dass sie ohnehin gleich verteilt sind. Diese Annahme, so absurd sie ist, ist äußerst folgenreich. Sie führt dazu, dass die viele der (Erfolg-)Reichen nicht nur sich selbst als außerordentliche Leistungsträger erachten, sondern auch von breiten Teilen als solche anerkannt werden. Wirtschaftlich skrupellose Personen sind die unantastbaren, meist männlichen Ikonen dieser Welt. Von ihnen glaubt man, dass sie ihren wirtschaftlichen Erfolg aus eigener Kraft erreicht, ihr Vermögen ganz von selbst in unvorstellbare Höhen getrieben haben – und dazu keine staatliche Unterstützung (Bildung, sozialen Frieden, etc.) oder Hilfe von irgendjemand anders (z. B. MitarbeiterInnen) brauchten. Sie beeindrucken die breite Masse weit mehr als eine Kranken- oder Altenpflegerin, ein Bauarbeiter oder eine Kindergartenpädagogin. Die Verehrung der ökonomisch Erfolgreichen führt dazu, dass das falsche Bild der Sieger und Verlierer ins Politische übernommen wird. Sie führt dazu, dass die politischen Ansichten selbstgefälliger Millionäre größeres Gehör finden und dass diese sogar in höchste politische Ämter gewählt werden. Die kollektive Verehrung der gehypten Siegertypen bewirkt, dass der Abbau sozialstaatlicher Maßnahmen auf breite Unterstützung stößt. Wer nicht erfolgreich ist, seinen Job verliert oder nur wenig verdient, ist diesem Weltbild zufolge selber schuld und sollte nicht vom Staat aufgefangen oder unterstützt werden. Die kleine Minderheit der Super-Reichen hingegen hat demzufolge auch politisch jedes Recht, vom Staat möglichst unbelastet zu bleiben und nicht in ihrer so erfolgreichen Performance, auf ihrem Siegeszug behindert zu werden. Sie sind die neuen Autoritäten, denen sich viele freiwillig unterwerfen, weil sie einer hegemonialen Erzählung auf den Leim gehen und weil sie den Wettbewerb, die Konkurrenz als Lebensrealität inhaliert haben. Für die Demokratie aber ist diese Entwicklung sehr bedrohlich, denn sie beruht auf dem Meinungsaustausch zwischen gleichen, reifen Persönlichkeiten und ist das Gegenteil von fanatischer Verehrung irgendwelcher Autoritäten. Wer die ungleiche Ausgangslage der Menschen leugnet und dem Neoliberalismus das Wort redet, ist nicht nur der Feind von echten Leistungsträgern, sondern gefährdet auch unsere demokratischen Errungenschaften. Denn als Konsequenz dieses Weltbilds verschärft sich die ohnehin große Lücke zwischen Arm und Reich, steigt die soziale Ungleichheit und treibt ein ökonomisch begründeter Autoritarismus gefährliche Blüten.