Was braucht ein Mensch, um sich wohl zu fühlen? Dieser Frage gehen nicht nur die Psychologie und die Philosophie, sondern auch ein Zweig der Sozialwissenschaften nach, der unter dem Begriff „Lebensqualitätsforschung“ zusammengefasst wird und interdisziplinär ausgerichtet ist. Drei Aspekte gelten dabei als besonders wichtig: die Abwesenheit von Leid, wie Sigmund Freud es nannte [1], das Gefühl der Sicherheit und das Gefühl von Freiheit oder Selbstbestimmung[2]. Alle drei Aspekte haben eine äußere oder gesellschaftliche und eine innere oder individuelle Dimension[3]. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die individuelle Dimension von der äußeren stark mitgeprägt wird, aber dennoch von dieser abweichen kann. So kann ein Mensch in einer insgesamt reichen Volkswirtschaft in Armut leben, ein anderer in einer Kriegssituation psychisch und physisch unversehrt bleiben oder umgekehrt und so weiter. In Hinblick auf den Aspekt der Freiheit ist die von Isaiah Berlin eingeführte Unterscheidung zwischen negativer Freiheit als Abwesenheit von Zwang und positiver Freiheit als Handlungs- und Wahlmöglichkeit hilfreich. Gerade hier wirkt das System auf den Einzelnen ganz besonders stark.

Tabelle: Aspekte von subjektivem Wohlbefinden (in Anlehnung an Veenhoven)

Aspekte subjektiven   Wohlbefindens Äußere Dimension   (liveability) Innere   Dimension(life-ability)
Abwesenheit von   Leid Abwesenheit von   Krieg, Hungersnot, ökologischen Katastrophen etc. Abwesenheit von   psychischem oder physischem Leid(individuelle Gesundheit)
Sicherheit Sozialer Friede,   Stabilität der inneren und äußeren Sicherheit, ökonomische und soziale   Sicherheit Selbstsicherheit,   stabile persönliche Einkommenssituation
Freiheit Politische,   ökonomische, private Freiheitsrechte, demokratisches System, liberale   politische Kultur Selbstbestimmung,   Autonomie, Freiheit

Das höchste individuelle Wohlbefinden ist zu erwarten, wenn sowohl die politischen (livability) als auch die individuellen Voraussetzungen (life-ability) vorhanden sind. Ob ein Aspekt wichtiger ist als ein anderer, wird in der Theorie heftig diskutiert. Häufig wird davon ausgegangen, dass die Bedürfnisse nach Sicherheit und Gesundheit vor jenem nach Freiheit kommen. Das entspricht der Annahme von Abraham Maslow, der in seiner Bedürfnispyramide Freiheit und Selbstverwirklichung als letzte Stufe definiert, die erst auf der Abdeckung von Grund- und Sicherheitsbedürfnissen aufbaut. Hingegen wies der Sozialpsychologe Erich Fromm darauf hin, dass die Bedürfnisse nach Individualität (Freiheit, persönliche Autonomie) und Konformität (Zugehörigkeit, Sicherheit) gleichwertig zu sehen sind und nicht hierarchisch, dass sie aber in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen. Diese Überlegungen spielen auch in der Politik eine Rolle und spiegeln sich in der Frage nach dem Trade-off zwischen Freiheit und Sicherheit wider. So wurden etwa seit dem Attentat auf das World Trade Center 2001 die Sicherheitsmaßnahmen zu Ungunsten der individuellen Freiheit weltweit verschärft. Die jüngere Geschichte der Russischen Föderation ist ein besonders spannendes Beispiel für das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Ende der 1980er Jahre hatten viele Russen noch das Gefühl, im Sowjetkommunismus zu wenig individuelle Freiheiten zu genießen. Die radikale Liberalisierung der turbokapitalistischen 1990er Jahre hingegen verunsicherte so sehr, dass man 2000 mit großer Zustimmung der Putinschen Politik folgte, die Sicherheit versprach und dafür die Freiheit beschnitt.

Auch in Österreich beeinflusst die Debatte um das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit viele Politikfelder. Ob es um Zuwanderung oder Datenschutz, Rauchverbote oder um das Sozialsystem geht: die Freiheit der einen kann die Sicherheit der anderen einschränken und umgekehrt. Dies gilt auch für die Wirtschaftspolitik, da etwa ein neoliberal geprägtes System zwar die Freiheit der UnternehmerInnen erhöht, aber die Sicherheit der ArbeitnehmerInnen gefährdet.

Ob ein Land eine hohe Lebensqualität aufweist und sich seine BürgerInnen wohl fühlen oder nicht, hängt nicht zuletzt davon ab, wie es der Politik gelingt, einen Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit zu schaffen. Wo einer der beiden Aspekte vernachlässigt wird, sinkt das subjektive Wohlbefinden, wie viele Studien zeigen. Mehr dazu u. a. in „Politische Partizipation und subjektives Wohlbefinden“ (Markus Pausch), in: Sedmak, Clemens (Hg.) 2012. Freiheit. Vom Wert der Autonomie, WBG, Darmstadt, S. 161-174.


[1] Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften, Frankfurt/Main: Fischer, 1994.

[2] Da sich der tatsächliche Grad an individueller Sicherheit oder Freiheit nicht objektiv messen lässt, geht es in der empirischen Forschung dazu in erster Linie um die Selbsteinschätzung der Menschen, also um deren gefühlte Sicherheit und Freiheit.

[3] Ruut Veenhoven, The four qualities of life. Ordering concepts and measures of the good life, Journal of Happiness Studies, 2000, vol. 1, S. 1- 39.