Das klassische Parteiensystem hat sich über viele Jahrzehnte über wenige Cleavages definiert. Arbeit gegen Kapital war die wichtigste Trennlinie zwischen Sozialdemokratie einerseits und Wirtschaftsliberalen bzw. konservativen Volksparteien andererseits. Über lange Zeit hinweg waren diese Identitätsmerkmale sowohl in den Eliten der Parteien als auch in deren Wählerschaft dominant. Es gab also eine Übereinstimmung zwischen Partei-Ideologie und Wählerpräferenzen. Die Sozialdemokratie hat sich als Partei der ArbeiterInnen verstanden und diese fühlten sich ihr zugehörig. Die konservativen Volksparteien und Wirtschaftsliberalen verstanden sich als Vertreter der UnternehmerInnen und diese fühlten sich von jenen repräsentiert.

In den Parteizentralen von SPÖ und ÖVP und deren europäischen Schwesterparteien ist das Cleavage zwischen Arbeit und Kapital nach wie vor bzw. wieder eine zentrale Orientierungsmarke, ein identitätsstiftendes Merkmal, auch wenn nicht immer danach gehandelt wurde und wird. Die Wählerschaft jedoch entscheidet lange schon nicht mehr vorrangig nach diesem Cleavage. Dies gilt im Besonderen für die ArbeiterInnen und jenen, die früher eindeutig der Sozialdemokratie zuzurechnen waren. Das neue dominante Cleavage heißt inklusive Demokratie und Europäisierung/Globalisierung gegen exklusive Demokratie und Renationalisierung. Die Präsidentschaftswahlen in den USA, in Österreich und Frankreich zeigen ebenso wie die Abstimmung über den BREXIT ein ähnliches Muster. Der Kampf, der gefochten wird, ist einer zwischen einem offenen, übernationalen und integrativen Gesellschaftsmodell und einem protektionistischen, auf law-and-order abzielenden, nationalistischen. Die sozialdemokratischen Parteien werden nicht vorrangig deswegen weniger oft gewählt, weil sie heute schlechtere Sozialpolitik machen (auch wenn sie das tatsächlich manchmal tun), sondern weil sie im neuen dominanten Cleavage nicht mit ihrer ursprünglichen Klientel übereinstimmen oder zumindest in ihrer Positionierung lavieren. Das zeigt sich daran, dass etwa ein bedingungsloses Grundeinkommen (in Frankreich von B. Hamon vorgeschlagen) oder eine Krankenversicherung für alle (in den USA eine Clinton-Position) keine wahlentscheidende Kraft mehr haben – und auch die linkeren Alternativen (Mélenchon in Frankreich oder Sanders in den USA) eher von intellektuellen Eliten und Studierenden gewählt wurden als von ArbeiterInnen. Entscheidend war in vielen Fällen hingegen die gesellschafts- und europapolitische Positionierung bzw. jene gegenüber der Globalisierung.

Während die sozialdemokratischen Eliten eher für eine liberale und pluralistische, inklusive Gesellschaft und ein gemeinsames Europa stehen, ist ihre frühere Wählerschaft keineswegs so eingestellt. Gleichzeitig vertreten SPÖ oder der französische Parti Socialiste das inklusive Modell nur halbherzig und zögerlich, wodurch sie auch keine neuen WählerInnen gewinnen. Die exkludierenden, nationalistischen und protektionistischen Gegenpositionen bieten hingegen die nationalkonservativen und rechtsextremen Parteien an. Sie ziehen damit Teile der früheren sozialdemokratischen Wählerschaft auf ihre Seite. Große andere Teile resignieren und werden zu NichtwählerInnen. Zweifellos ließe sich das neue Cleavage mit dem alten verknüpfen – Mélenchon, Sanders und andere versuchen das. Aber die Erfolge sind noch relativ bescheiden, weil einfachere Erklärungsmuster wie „Die Ausländer und die EU sind an allem schuld“ offenbar besser ziehen.

Für die Sozialdemokratie bedeutet das alles wohl, dass sie sich ihren Platz im neuen Cleavage erst suchen muss. Die Flügelkämpfe in der österreichischen SPÖ verdeutlichen diesen Kampf ebenso wie die Spaltung und Zersplitterung der französischen Linken.